„Ökonomie und Ideologie“ – Call for Abstracts – Verlängerung der Einreichungsfrist bis zum 31.7.2019

Call for Abstracts für Beiträge für das Jahrbuch „Ökonomie und Gesellschaft“, Band 2020: „Ökonomie und Ideologie“ (PDF des Calls zum Download)

Ökonomie und Ideologie? –  „… Ideologie (ist) wie Mundgeruch immer das, was die anderen haben“ (Eagleton 2000: 8).

Für das im Metropolis-Verlag erscheinende Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft wollen wir wissenschaftliche Beiträge zum Thema „Ökonomie und Ideologie“ einwerben und veröffent­lichen. Wir bitten um Einreichung einer Zusammenfassung (Abstract von max. 1500 Wörtern) bis zum 31.7.2019.

Worum es geht

Manuskriptseite „Die deutsche Ideologie“ von Karl Marx (Bildquelle am Ende des Textes)

Wenn es empirisch zutrifft, dass sich die Wirtschaftswissenschaften mit Knappheit befassen, dann ist Streit über Theorien und Methoden, Wertungen und Gestaltungsmaßnahmen nahelie­gend oder gar unvermeidlich. Immer wieder taucht in den Auseinandersetzungen der Begriff der Ideologie auf. Nicht selten wird er als polemischer Kampfbegriff verwendet, der all dieje­nigen Aussagensysteme als ideologisch diskreditiert, die nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen. Terry Eagletons drastische Formulierung bringt es anschaulich auf den Punkt: „… Ideologie (ist) wie Mundgeruch immer das, was die anderen haben“ (Eagleton, T. 2000: Ideologie. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler, S. 8). Ein solches, rein denunziatorisches Konzept dürfte ebenso wenig sinnvoll wie eine weite Vorstellung, die Ideologie ganz allge­mein als umfassenderes Wert-Wissens-System, als Weltbild oder Denksystem, begreift. Wir legen folgende Arbeitsdefinition zugrunde: Ideologisch sind solche Aussagen zu nennen, die (i) Wahrheit suggerieren, dabei gleichzeitig schwer überprüfbar ist und sich sogar gegen eine Überprüfung immunisieren, (ii) die ein Bild erzeugen, das zumindest zum Teil falsch ist und zudem (iii) die Funktion hat, bestimmte Interessen angebbarer gesellschaftlicher Gruppen zu verschleiern oder zu affirmieren. Die Absicht einer Verschleierung ist nicht auszuschließen, sie ist jedoch kein notwendiges Definitionsmerkmal des Ideologischen, denn eine Menge von Aussagen kann unbeabsichtigt positive Wirkungen für eine Gruppe (und negative für andere) entfalten.

Die Leitfragen des geplanten Bandes lautet: Produzieren die Wirtschaftswissenschaften Ideologie? Wie geschieht dies? Und was kann man dagegen tun? Kann Wirtschaftswissen­schaft auch als Gegenmittel gegen Ideologien eingesetzt werden, welche Merkmale müssten solche wissenschaftlichen Perspektiven und Analysen aufweisen?

Von diesen Leitfragen ausgehend stellt sich eine Reihe von Unterfragen, die zu Beiträgen für das Jahrbuch anregen sollen:

  • Was genau ist „das Ideologische“ in den Wirtschaftswissenschaften? Erzeugen Theorien oder Methoden ein verzerrtes Bild der Realität? Ist nicht Ideologisches bereits in der Spra­che, den Begriffen der Ökonomie enthalten?
  • Welche Rolle spielen Annahmen wie z.B. die des sich immer einstellenden oder sich einstellenmüssenden Marktgleichgewichts oder Annahmen über (mehr oder weniger) rationales Verhalten der Subjekte?
  • Kann man mit den vorherrschenden Annahmen über Unternehmen reale Phänomene (wie etwa das Verhalten von Facebook, Google, Apple oder VW) in den Blick nehmen oder blendet man sie mit den dominanten Theorien aus? Wirken bestimmte Vorstellungen z.B. über den Staat und Steuern, über Ungleichheit und Macht ideologieerzeugend?
  • Leiten Ideologien bereits die Auswahl von Fragestellungen und die Interpretation empiri­scher Befunde, sind diese damit gleichsam ideologiegetränkt?
  • Dienen die von den Wirtschaftswissenschaften erzeugten (vereinfachten) „Bilder“ der Realität bestimmten Interessen mehr als anderen?
  • Erscheinen durch bestimmte Theorieannahmen oder auch methodische Vereinfachungen (z.B. in Form formaler Modelle) Gestaltungsmaßnahmen möglicherweise auch normativ gerechtfertigt, ja sogar alternativlos?
  • Können neuere Entwicklungen in den Wirtschaftswissenschaften wie behavioral econo­mics mögliche ideologiebedingte Probleme reduzieren? Oder schützen sie lediglich den theoretischen (vielleicht ideologischen) Kern der herkömmlichen Ansätze?
  • Fragen stellen sich auch nach der Bedeutung von Organisation und Heterogenität der Wirt­schaftswissenschaften. Überspitzt formuliert: Wäre die möglichen Ideologieprobleme gelöst, wenn wir eine „plurale Ökonomie“ hätten? Sind nicht-ideologische Wissenschaf­ten überhaupt möglich?
  • Wenn die Diagnose zutrifft, dass die Wirtschaftswissenschaften insgesamt oder Teilberei­che Ideologieprobleme aufweisen, dann stellt sich auch die Frage nach der Therapie, etwa durch eine veränderte Organisation der Wissenschaft, durch eine Institutionalisierung kri­tischer Diskurse, durch veränderte Regeln in der Bewertung wissenschaftlicher Leistun­gen oder der Berufungspolitik.

Selbstverständlich kann eine Liste solcher Fragen nicht abschließend formuliert sein.

Zeitplan

Für das im Metropolis-Verlag erscheinende Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft „Ökonomie und Ideologie“ bitten wir zunächst um die Einreichung einer Zusammenfassung (Abstract) im Umfang von nicht mehr als 1500 Wörtern) bis zum 31.7.2019.

Auf dieser Grundlage wollen wir dann Beiträge für den Band einladen. Die vollständigen Beiträge sind bis zum 1.11.2019 einzureichen und durchlaufen ein Begutachtungsverfahren. Geplant ist ein Autor*innen-Workshop an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg am 15./16.11.2019. Die endgültigen Beiträge können bis zum 31.3.2020 eingereicht werden.

Die vollständigen Aufsätze sollten nicht mehr als 15.000 Wörter umfassen. Das Jahrbuch wird Ende 2020 erscheinen.

Organisatorisches

Herausgeber des Bandes sind Wenzel Matiaske und Werner Nienhüser.

Bitte senden Sie Ihre Zusammenfassung bis zum 31.7.2019 an Wenzel Matiaske (matiaske@hsu-hh.de) oder Werner Nienhüser (werner.nienhueser@uni-due.de). Wenn Sie Fragen haben, können Sie sich gerne per Email oder telefonisch an uns wenden.

Korrespondenzadressen:

  • Prof. Dr. Wenzel Matiaske, Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg, IPA Institut für Personal und Arbeit, Holstenhofweg 85, 22043 Hamburg, Tel. +49 (0)40 6541 2232, email: matiaske@hsu-hh.de
  • Prof. Dr. Werner Nienhüser, Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Wirtschafts­wis­senschaften, Lehrstuhl für Arbeit, Personal und Organisation, Universitätsstr. 11, 45117 Essen, Tel. +49 (0)201 183 2260, Email: werner.nienhueser@uni-due.de

Informationen über das Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft finden Sie hier:

http://www.metropolis-verlag.de/Periodika/Oekonomie-und-Gesellschaft/catalog.do

Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_deutsche_Ideologie

Werbung

Interesting blogpost: „Business Is Not a War, a Jungle, a Machine, or a Game“

John Budd published an interesting piece on his Blog „Wither Work?“  titled „Business Is Not a War, a Jungle, a Machine, or a Game: Rejecting Narratives that are Unhealthy for Work and Workers„.

„In fact, there are many war metaphors used in business: in addition to the “war for talent,” we can see references to competitors as the enemy, strategies as plans of attack, cash as a war chest, competition as a battle (“capture market share”), sometimes even employees as troops (“rally the troops”). All of these portray business as focused on beating the competition rather than producing an excellent product or service and make it legitimate to do this by any means necessary. War metaphors make it seem necessary for business to adopt hierarchical, authoritarian, military-like chains of command. All of these should be rejected. Business should be viewed as focused on excellent products and services, not winning. Business requires cooperation, shared interests, and agreed-upon rules of conduct, not war.“

John Budd criticises not only the use of war metaphors, but also of jungle, maschine or game metaphors. Metaphors are often used in situations with conflicting interests. For instance, an article by Heiko Hoßfeld (2013) shows how companies use metaphors in „downsizing“ practices. „Downsizing measures like theirs are often met with resistance if they conflict with the interests, values or worldviews of stakeholders.“ He analyses in an empirical case study, how two German banks, undertaking massive staff and cost reductions, „use their own mass communication media to create, with the aid of metaphors, a legitimizing image of their practices.“ John Budd 2011) has published an interesting book about the different ways we speak about, conceptualize and view work. It makes, for instance, a difference whether we view work as a commodity or a social relationship, these different views have a material basis, but they are also powerful social constructions influencing how we perceive and experience our work and how we communicate our experiences.

On the one hand: Using language means using metaphors, we can’t avoid metaphors (Lakoff & Johnson, 1980). This means, on the other hand, the more we should reflect and criticise their use, in particular in the field of employment relations, a politically „contested terrain“ (Edwards, 1979) or „contested exchange“  (Bowles & Gintis, 1990).

A final remark: It would be interesting to analyse not only the use of metaphors – how we speak about work or the employment relationship -, but also the use which pictures (images), mainly photographies regarding these subjects. I think, how we perceive objects, is more and more influenced by pictures we see on TV, especially on the internet. The more abstract such objects are, the stronger is the influence. How we conceptualize an object as „Personnel“ could be influenced by the pictures we see on the internet when we search for „Personnel“ or related terms. This is a new question, which goes beyond this blog post, but I want to illustrate this idea with a (selective) screenshot of the pictures resulting from a Google picture search for „Personnel“. What do we see? How do these pictures influence our cognitive conceptualization of „Personnel“, when we see them very often? … I will come back to this topic.

References

  • Bowles, S., & Gintis, H. (1990). Contested Exchange: New Microfoundations for the Political Economy of Capitalism. Politics and Society, 18(2), 165–222.
  • Budd, J. W. (2011). The thought of work. Ithaca, N.Y: ILR Press.
  • Edwards, R. C. (1979). Contested Terrain: The Transformation of the Workplace in the Twentieth Century. New York: Basic Books.
  • Hoßfeld, H. (2013). Corporate Dieting. Persuasive Use of Metaphors in Downsizing. Management Revue, 24(1), 53–70.
  • Lakoff, G., & Johnson, M. (1980). Metaphors we live by. Chicago et al.: University of Chicago Press.

ARD-Themenwoche „Zukunft der Arbeit“

Viel beworben wird derzeit die „Themenwoche“ der ARD. Gezeigt werden Beiträge unterschiedlicher Art zum Thema „Zukunft der Arbeit“:

http://www.ard.de/home/themenwoche/ARD_Themenwoche_2016_Zukunft_der_Arbeit/3235538/index.html

Bundesarchiv B 145 Bild-P049619, Berlin, Ausstellung der Jugend, Roboter-Modell
Eine gute bzw. gut gemeinte Sache?  Ein nicht so kleines Aber: Die Sendungen scheinen mir sehr stark zum einen auf die Ersetzung von menschlicher Arbeitskraft durch (i.w.S.) Maschinen, zum anderen auf die Folgen für das Individuum (Abstieg, Armut) zentriert zu sein. Eine solche Perspektive könnte folgende Funktionen erfüllen: Sie vermitteln ein Gefühl der Ersetzbarkeit eines jeden Einzelnen. Als Lösung wird lediglich angeführt, man müsse sich eben individuell für den Wandel qualifizieren. Das schürt Konkurrenz und rückt lediglich individuelle (Re)aktionen in den Blick. Technische Veränderungen werden als gleichsam unveränderlich dargestellt, kollektive Gestaltungsmöglichkeiten (oder gar Möglichkeiten der Gegenwehr) werden nicht thematisiert und damit ausgeblendet. – Ja, richtig, ich kann die Sendungen noch gar nicht gesehen haben und werde auch nicht alle sehen können. Es ist auch lediglich eine Vermutung von mir über die Effekte für den Diskurs, von der ich hoffe, dass sie sich nicht bestätigt.

(Danke an Alexander Egeling für den Hinweis auf die Sendungen.) (Bild: „1935, Berlin: Ausstellung der Jugend: „Roboter wie er kommen wird“, Foto 1932 von Carl Weinrother; Bundesarchiv, B 145 Bild-P049619 / Weinrother, Carl / CC-BY-SA 3.0)

Das schlechte Wissen verdrängt das gute?

Den Aufsatz, auf den sich der LSE-Blog-Post bezieht, findet sich hier: Avey, Paul C.; Desch, Michael C. 2014: What Do Policymakers Want From Us? Results of a Survey of Current and Former Senior National Security Decision-makers. In: International Studies Quarterly, Vol. 58, No. 4 (hier das working paper der Autoren, das sie freundlicherweise online gestellt haben).

Das ist ein interessanter Beitrag. Mir fällt ein, dass ich vor Längerem einen Text mit folgendem Titel geschrieben habe.

Das schlechte Wissen verdrängt das gute“ – oder: Warum setzen sich bestimmte sozialwissenschaftliche Paradigmen und Management­konzepte in der Unternehmenspraxis gegen andere durch?“ (In: Pankoke, E. (Hg.): Wert- und Wissensmanagement – Motivationsprobleme und Evaluationsprozesse, Essen 2002, S. 31-53. Eine ausführlichere Version dieses Beitrages ist unter dem Titel “Die Nutzung personal- und organisationswissenschaftlicher Erkenntnisse in Unternehmen. Eine Analyse der Bestimmungsgründe und Formen auf der Grundlage theoretischer und empirischer Befunde” erschienen in: Zeitschrift für Personalforschung, 1998, 12. Jg., H. 1, S. 21-49. Sie enthält einen stärker ausgearbeiteten theoretischen Rahmen, mehr empirische Belege und ausführlichere Literaturangaben.

Die Frage meines Beitrages war, welches Wissen in der „Unternehmenspraxis“ (was und wer das ist, ist natürlich zu klären) nachegraft wird. Antwort: „einfache, anschauliche Schemata oder unwiderlegbare, mit metaphysischen und wertenden Elementen durchsetzten Managementphilosophien“. Ich denke nicht, dass sich das geändert hat. Nur haben die rechtfertigenden Aussagen, die vor allem die Betriebswirtschaftslehre bzw. die Managementforschung liefern, sich in ihren Inhalten geändert. Die äußere Gestalt ändert sich, nicht der legimatorische Kern. Ich erlaube mir, etwas längere Passagen aus meinem Aufsatz zu zitieren:

„Was lernt “die Praxis” von “der  Wissenschaft”? Welches Wissen wird von gegenwärtigen oder künftigen Managern angenommen und angewendet? Und welches Wissen wird ignoriert und nicht angewendet? Meine These ist, daß sich insbesondere die aus wissenschaftlicher Sicht schlechten Konzepte durchsetzen, also die Konzepte, die relativ vage Aussagen enthalten, die mit fragwürdigen Basisannahmen arbeiten, die kaum empirisch fundiert und zum Teil sogar falsch sind. Akzeptierte, weitverbreitete Konzepte sind also häufig wissenschaftlich wenig brauchbar – dies mag wenig überraschend sein. Überraschend aber ist, daß sie auch praktisch kaum brauchbar sind, d.h., aus ihnen lassen sich keine Gestaltungsaussagen entwickeln. Warum sind dann aber Konzepte mit den genannten Merkmalen in der Praxis, vor allem in Unternehmen, so weit verbreitet? Ich vermute folgendes: Die Hauptaufgabe des Managements besteht nicht nur darin, die richtigen Entscheidungen zu treffen; die Entscheidungen müssen auch gerechtfertigt und häufig gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt werden. Ich behaupte nun, daß sich das Management aus dem Angebot der Wissenschaft vorrangig die Konzepte und Ansätze herausgreift, die es zur Rechtfertigung, zur Legitimation von Entscheidungen benötigt. Dies sind nur zum Teil wissenschaftliche Theorien, sondern oftmals Aussagensysteme, die man als “Managementkonzepte” bezeichnen kann. …“.

„… In welchen Situationen ist welches Wissen funktional?

Es bleibt die Frage, welches Wissen geeignet ist, die je nach Entscheidungsprozeßsituation unterschiedlichen Probleme zu lösen. Abbildung 1 zeigt typische Entscheidungssituationen und das vermutlich in diesen Situationen bevorzugte Wissen. Ich vermute: Die Kombination von Wissens- und Konfliktproblem bestimmt (bei analytisch konstant gehaltenem Dissonanzproblem) die Form der Nutzung und welche Art von Wissen nachgefragt und genutzt wird.

wissensnutzungt

Durch die Kreuztabellierung ergeben sich, je nach Ausprägung von Wissensproblem und Konfliktproblem, vier Situationstypen. Je nach Situationstyp ist unterschiedliches Wissen funktional und wird auf bestimmte Art und Weise genutzt. Eine Voraussetzung in allen vier Situationen besteht darin, daß das genutzte Wissen Dissonanzen zumindest nicht erhöht. In Situation 2 und 4, in denen das Wissensproblem besonders groß ist, müssen die Informationen darüber hinaus instrumentelle Kraft aufweisen. In Situation 3 und 4 ist es notwendig, daß das Wissen Konflikte reduziert oder verhindert.

Situation 1: Wenn das Wissens- und das Konfliktproblem gering sind, dann wird (sofern das vorhandene Wissen nicht ausreicht) auf bewährtes Praktikerwissen zurückgegriffen. Bei einer solchen Problemlage wird man wegen des vergleichsweise geringen Problemdrucks nicht auf Aussagen der Wissenschaft zurückgreifen, sondern auf erfolgreiche Praktiken im eigenen oder in anderen, „ähnlichen“ und erfolgreichen Unternehmen. Dies folgt aus den theoretischen Annahmen der beschränkten Rationalität und des satisfizierenden Verhaltens.

Situation 2: Wenn das Wissensproblem dominant und das Konfliktproblem gering ist, wird zunächst auf “naheliegendes” Praktikerwissen und bei nicht erfolgreichen Lösungen auf weniger naheliegendes Wissen (Empirie, Methoden, Theorien) zurückgegriffen. Zunächst wird also Praktikerwissen aus anderen Unternehmen gesucht. Dies dürfte aber bei komplexen Problemen mit hohem Bedarf an Wissen oft nicht ausreichend sein. Daher wird man – aber erst, nachdem sich Praktikerwissen aus „erster Hand“ als nicht (potentiell) problemlösend erwiesen hat – auf empirische Untersuchungen zurückgreifen, die erfolgreiche Lösungen beschreiben. Ein Beispiel: Erst wenn bei anderen Unternehmen keine geeigneten Konzepte zur Lohngestaltung vorhanden sind, haben Untersuchungen über den Erfolg von bestimmten Entlohnungssystemen in der Praxis eine Chance, herangezogen zu werden. Der nächste Schritt wird vermutlich darin bestehen, daß man auf prototypische Methoden zurückgreift, die in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben sind, die aber noch nicht umgesetzt wurden. Als Beispiel: Man nimmt bestimmte Vorschläge in der wissenschaftlichen Literatur zu Leistungslohnsystemen zur Kenntnis, obwohl diese noch nicht praktiziert worden sind. Erst im letzten Schritt wird man das Aufwendigste tun und Theorien suchen, aus denen man selbst Lösungen entwickeln muß. Um beim Anreizsystembeispiel zu bleiben: Man sucht nach Leistungsmotivationstheorien und versucht selbst, hieraus ein Anreizsystem zu entwickeln.

Situation 3: Wenn das Wissensproblem gering und das Konfliktproblem dominant ist, werden einfache, gut kommunizierbare, nicht widerlegbare Theorien und interessenkonforme empirische Befunde nachgefragt und genutzt. In dieser Situation muß Wissen vor allem geeignet sein, Konflikte beizulegen. Die politische Nutzung steht im Vordergrund, die instrumentelle Kraft des Wissens ist nachrangig. Um bestimmte Argumente durch „Wissenschaftlichkeit“ und „Rationalität“ aufzuwerten, sind Theorien und auch Ordnungsrahmen aus dem Wissenschaftssystem sehr nützlich. Dabei werden sich vermutlich solche Wissenssysteme durchsetzen, die bekannt, anerkannt und einfach zu kommunizieren sind. Darüber hinaus ist es funktional, wenn die verwendeten Konzepte nicht widerlegbar sind. Sie können dann breit für viele Zwecke verwendet werden, was wieder zu ihrer Verbreitung beiträgt. So sind zum Beispiel Beyer/Trice (1982: 600) der Ansicht, daß die Popularität der Theorie X/Y von McGregor (1970) und von Ouchis Theorie Z (Ouchi 1981) auf die Elastizität, die Mehrdeutigkeit dieser Ansätze zurückzuführen ist. Hier mag auch ein Grund für den zumindest für mich überraschenden Befund liegen, daß qualitativ gewonnenes bzw. aufbereitetes Wissen eher wahrgenommen und akzeptiert wird als „hartes“, quantitatives Wissen (Caplan/Morrison/Stambaugh 1975; van den Vall/Bolas/Kang 1976: 166-169; Deshpande 1981; Beyer/Trice 1982: 612). Darüber hinaus sind in Situation 3 empirische Ergebnisse funktional, die die eigene Position bestätigen und gegen die der Skeptiker sprechen. Hier dürfte die selektive Wahrnehmung und Nutzung von wissenschaftlichen Ergebnissen nach dem sog. „Steinbruchverfahren“ häufig sein (Müller-Rommel 1984): Man übernimmt selektiv passende Ergebnisse und ignoriert unpassende.

Situation 4: Wenn sowohl das Wissens- als auch das Konfliktproblem stark ausgeprägt sind, werden komplexe Managementansätze (oft von namhaften Beratern) nachgefragt und genutzt. Es ist sowohl das Wissens- als auch das Konfliktproblem zu lösen. Thompson/Tuden (1959: 202) halten in einer solchen Situation eine Entscheidungsstrategie für funktional und wahrscheinlich, die sie als Inspiration bezeichnen. Organisationen würden zwar versuchen, solche Situationen zu vermeiden, wenn dies jedoch nicht möglich sei, kämen „höhere Instanzen“ ins Spiel. Während in früheren Zeiten (oder in anderen Kulturen) übernatürliche Kräfte bemüht wurden (und werden), erfüllen in Unternehmen charismatische Führer, die Imitation von erfolgreichen Organisationen mit hohem Prestige oder die Hinzuziehung von anerkannten Managementberatern ähnliche Funktionen wie die Anrufung von Göttern (Thompson/Tuden 1959: 202). Ich vermute, daß hier in dieser Situation Ansätze eine höhere Chance haben, wenn sie einen instrumentellen Kern beinhalten, der Antworten auf das Wissensproblem erlaubt, die aber gleichzeitig einen ideologischen Kern aufweisen, der das instrumentelle Wissen rechtfertigt. Ich denke, daß komplexe Ansätze wie Lean Management, Business Reengineering, Total Quality Management usw. derartig aufgebaut sind. Hier an dieser Stelle kann kein systematischer Nachweis erfolgen, ein Beispiel soll den Gedanken illustrieren. Der Bestseller von Peters/Waterman (1984), der durch den Titel „Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann“ anwendbares Wissen verspricht, gibt durchaus Regeln an, die zumindest Hinweise für die Entwicklung von Gestaltungsaussagen liefern. Die Regeln werden aber gleichzeitig immunisiert, so daß Kritiker schwer Einwände erheben können (außer genau gegen diesen Sachverhalt der Immunisierung). Peters/Waterman formulieren beispielsweise als ein Erfolgsprinzip die Regel des „Primat des Handelns“, heben aber gleichzeitig hervor, daß schwer auszudrücken sei, was dieses Prinzip beinhalte (Peters/Waterman 1984: 150) – gleichwohl gelingt ihnen eine Definition: Mit “Primat des Handelns” wird das Vorhandensein von „Instrumente(n) (bezeichnet), mit denen diese (erfolgreichen, W.N.) Unternehmen für Durchlässigkeit der Organisation sorgen, Systeme vereinfachen, die Organisation in Bewegung halten und Experimentierfreude schaffen“ (Peters/Waterman 1984: 151). Hier handelt es sich um ein schönes Beispiel für eine Suggestivdefinition; wer wäre schon gegen Systemvereinfachung oder Experimentierfreude. Begründet wird diese Handlungsregel, unter die eine Vielzahl von (wohl nicht mehr von allen Akteuren positiv bewerteten) Rationalisierungsmaßnahmen subsumierbar wären, mit Rückgriff auf die Erfahrung von Autoritäten. Gleichzeitig betonen Peters/Waterman, daß man das Prinzip aber direkt erfahren haben müsse, um es beurteilen zu können (S. 149); eine rein empirische Widerlegung reicht offenbar nicht mehr aus. Die methodischen Probleme der Erhebung, die mangelnde Datenqualität und -verwendung der empirischen Daten sind mehrfach hervorgehoben worden (siehe z.B. Berry 1983; Carroll 1983; Guest 1992; Hitt/Ireland 1987; Mitchell 1985). Gleichwohl ist das Buch ein Bestseller geworden. Einen wesentlichen Grund sehe ich darin, daß dieses Werk das Wissensproblem und das Konfliktproblem „löst“.

Zusammenfassend kann man sagen, daß insbesondere in sehr unsicheren Situationen rechtfertigendes Wissen gefragt ist. Abstrakte, widerlegbare Theorien und transparentes empirisches Wissen stellen solche politisch gefragten Inhalte weniger zur Verfügung als einfache, anschauliche Schemata oder unwiderlegbare, mit metaphysischen und wertenden Elementen durchsetzten Managementphilosophien.“

„Wirtschaft und Gesellschaft – Bundeszentrale vertreibt das von der BDA kritisierte Buch wieder“

Die IG Metall schreibt zu dem oben genannten Vorgang:

„Ab sofort wird das auf Druck von Arbeitsgebern und Innenministerium aus dem Angebot genommene Buch „Ökonomie und Gesellschaft“ wieder vertrieben. Wer auf die Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung geht, mag sich verwundert die Augen reiben. Ab sofort steht das auf Druck der Arbeitgeber und des Innenministerium aus dem Angebot genommene Buch „Ökonomie und Gesellschaft“ wieder zur Verfügung. Das ist das Ergebnis einer breiten öffentlichen Berichterstattung und der vielen kritischen Stimmen aus der Gesellschaft, aus der Wissenschaft und aus den Gewerkschaften. Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack. Selten hat man einen solchen massiven Eingriff in die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung erlebt. Selten wurden kritische Sozialwissenschaftler so massiv angegriffen. Seltsam mutet auch an, dass die Bundeszentrale das Buch nun mit einem Beiblatt versendet. Beide Konflikte sind damit nicht zu Ende. Es wäre vermessen anzunehmen, der Konflikt um die Strukturen und Inhalte eines wirtschaftlichen Unterrichts wären damit beendet. Sie werden weiter gehen. Ein eigenständiges Fach Wirtschaft ist auch in Zukunft abzulehnen. Der Konflikt wird sich möglicherweis jetzt an den Inhalten des Faches Wirtschaft in Baden-Württemberg neu zuspitzen, wenn die Landesregierung nicht eindeutig dafür Sorge trägt, dass das Fach Wirtschaft interdisziplinär von Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bestimmt und sozioökonomisch ausgerichtet ist. Ebenso bleibt die Tatsache bestehen, dass die BDA ein missliebiges Buch aus dem Sortiment der bpb drängen wollte und dass sich das Innenministerium massiv in die Angelegenheiten der bpb eingemischt hat. Ein Brief der für Bildung verantwortlichen Vorstandsmitglieder in den Gewerkschaften an den Innenminister, den neben anderen auch Elke Harnack für den DGB und Hans-Jürgen Urban für die IG Metall unterzeichnet haben, ist seit Wochen ohne Antwort.“ Quelle: IG Metall, 6.11.2015 WAP – Wirtschaft und Gesellschaft

Das Buch kann man nun wieder bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellen: http://www.bpb.de/shop/lernen/themen-und-materialien/200345/oekonomie-und-gesellschaft. Ich hab’s bestellt und bin gespannt. Außerdem habe ich eine neue Kategorie für Beiträge angelegt: Hegemonie (manchmal ist sie rissig: „There is a crack, a crack in everything / That’s how the light gets in.“ Leonard Cohen).

Academic unfreedom in economics

„from David Ruccio: We forget, at our peril, the extent to which academic unfreedom is enforced in departments of economics across North America.

Most departments of economics offer—in the classroom and in terms of research and policy advice—only mainstream economics. By that I mean they hire economists who only teach, conduct research, and offer policy advice defined by one or another version of mainstream (neoclassical and Keynesian) economics. Other approaches to economics—generally, these days, referred to as heterodox economics—simply aren’t recognized by or represented within those departments. That was true in the decades leading up to the crash of 2007-08 and, perhaps even more startling, it has continued to be the case in the years since.“  (Source and read more: Real-World Economics Review Blog; Academic unfreedom in economics)

„Feel Good Management“ – Alles gut! Oder?

„Hintergrundinformation Feel Good Management: Feel Good Management versteht sich als ein Konzept der konsequenten Werteorientierung und basiert auf den Lehren der positiven Psychologie, der Wissenschaft von der Entstehung der Gesundheit (Salutogenese) sowie der Resilienz- und Achtsamkeitsforschung. Grundlage ist die Erkenntnis, dass Mitarbeiter, die mit Fairness und Respekt behandelt werden, die in ihrem Tun einen Sinn erkennen, an Unternehmensabläufen partizipieren und sich mit gelebten Leitbildern ihres Arbeitgebers identifizieren, mit Freude und somit effizienter arbeiten. Mitarbeiter, die sich wohl fühlen, sind leistungsfähiger, gesünder und bleiben dem Unternehmen länger treu. So lässt sich mit Feel Good Management die Arbeitsatmosphäre im Unternehmen verbessern, die Motivation der Mitarbeiter steigern, die Wirtschaftlichkeit erhöhen und die kostenintensive Mitarbeiterfluktuation verringern.“ (Quelle: http://www.berufsverband-fgm.com/wp-content/uploads/2015/09/PM_01_2015_10_15.pdf; zugleich habe ich diese Information per Email erhalten, offenbar glauben solche Akteure, dass ein derartiges Konzept Unterstützung durch die Wissenschaft findet.)

Sogar ein Berufsverband und ein Berufsbild? – Was ist das Neue? Haben sich nicht immer Menschen mit der Frage befasst, was gutes Management ist bzw. sein soll? Ist das Neue, dass das, was das Management macht, sich „gut anfühlt“ und ich mich dann als der dem Management Unterworfene gut fühle? Alles gut! Oder?

Da hören wir doch lieber auf Dr. Feelgood. Vielleicht… Na gut, der Text.. der Sound ist aber allemal besser als der der Pressemitteilung.

Kann ich einen Termin für die Zulassung meines Autos kaufen? Na klar! Optimale Allokation über Preise…

Lange auf einen Termin für die Zulassung meines Autos warten müssen? Nein, das will ich nicht. Und ich freue mich über das Angebot, einen früheren Termin kaufen zu können. Oder?

(Bildquelle: http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2015/04/kfz-zulassung-handel-mit-terminen.html)

In Berlin gibt es schon länger einen „Terminhandel“.

„Senat bestätigt Handel mit Bürgeramt-Terminen
Dass in Berlins Bürgerämtern die Termine knapp sind, hat einige Privatleute zu einem Geschäftsmodell inspiriert: Sie verkaufen vorab reservierte Termine an Suchende. Diesen Missstand bestätigte nun die Innenverwaltung in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Piratenpartei. Mögliche Konsequenzen würden überprüft.
Privatleute haben die Terminknappheit in Berlins Bürgerämtern zu nutzen gelernt: Sie handeln mit vorab reservierten Terminen. Das bestätigte der Staatssekretär für Inneres, Andreas Statzkowski, nach einer Anfrage der Piratenpartei zumindest für ein Amt: „Dem Senat ist aus einem von vierzig Bürgerämtern bekannt, dass vor Ort vereinzelt von Privaten Termine zum Kauf angeboten wurden“, so die Antwort in der schriftlichen Anfrage vom 8. Juni.
Zudem gebe es ein privates Internetangebot für Bürgeramtstermine, das bezahlt werden muss. Dort würden Termine für die Beantragung eines Reisepasses oder Personalausweises oder zur Anmeldung einer Wohnung verkauft. „Der Senat prüft derzeit die möglichen technischen und rechtlichen Konsequenzen“, erklärte Statzkowskis in seiner Stellungnahme.“ Quelle: http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2015/07/verkauf-von-buergeramt-terminen.html (Neu ist die Angelegenheit nicht, siehe den Beitrag von Barbara Klopp vom 17.04.2015).

Wenn die Zeit doch ein knappes Gut ist, jedenfalls habe ich das in meinem Studium der Wirtschaftswissenschaften gelernt, dann stellt sich die Frage, ob eine Koordination über Preise nicht auch für die Zuteilung von Terminen die effizienteste Form wäre. Am besten eine öffentliche Versteigerung von Terminen?

Der Philosoph Michael Sandel wendet (in seinem Buch „Was man für Geld nicht kaufen kann – die moralischen Grenzen des Marktes . Berlin: Ullstein 2012) allerdings unter anderem ein, dass Menschen unterschiedliche finanzielle Mittel haben und hieraus  Ungerechtigkeit entsteht. Die Ärmeren müssen länger warten als die Reicheren. Aber ist das nicht generell ein Zustand, den die meisten von uns als Normalzutand akzeptieren? Wenn ich das Geld nicht habe, kann ich mir eben die Villa, die Yacht, den Computer oder auch das Essen – zumindest im Restaurant – nicht ohne weiteres „leisten“. Was ist daran ungerecht? Oder sollte man so weit gehen, dass Ungleichheit grundsätzlich ethisch problematisch ist, zumindest dann, wenn sie ein bestimmtes Ausmaß übersteigt? Ab welchem Ausmaß wollen wir Ungleichheit nicht mehr akzeptieren?

Oder sollte man, wie Sandels Überlegungen es nahelegen, bestimmte Güter und Dienstleistungen vom Handel, vom Markt, ausnehmen? Termine bei öffentlichen Ämtern wären dann nicht käuflich und handelbar. Allerdings müssten wir Kriterien haben, die uns erlaubten, zu entscheiden, was „der Markt regeln“ (was „die Märkte nicht alles so machen“, … vgl. dazu auch den Blogbeitrag von Ronald Hartz mit entsprechenden Verweisen ) soll und was nicht.

Lösungen sind nicht leicht zu finden. Die Antwort kann aber nicht sein, dass Märkte alles besser regeln und daher bei Koordinationsproblemen nur in diese Richtung zu suchen ist. Ein Verbot des Handels mit Terminen wäre doch schon mal ein guter Ansatz.