„Mit Werkvertrag, ohne Bürgerrechte “ (Beitrag in der Zeitung „Junge Welt“)

Mit Werkvertrag, ohne Bürgerrechte. Wie Prekarisierung die Mitbestimmung aushöhlt. Eine Untersuchung der Uni Trier (Von Herbert Wulff, in: Junge Welt vom 25.2.2015)

Prekäre Beschäftigung schwächt und untergräbt die betriebliche Mitbestimmung. Das ist die zentrale These eines Beitrags, den Ulrich Brinkmann und Oliver Nachtwey von der Uni Trier in der Fachzeitschrift Industrielle Beziehungen veröffentlicht haben. Demnach bleibt die Institution des Betriebsrats zwar weitgehend intakt. Sie erodiert jedoch, indem Leiharbeit und Werkverträge die Ressourcen der Beschäftigtenvertretung verringern, zugleich aber für eine Ausweitung ihrer Aufgaben sorgen.

Mit der Prekarisierung werden die Marktgrenzen zunehmend in die Unternehmen hinein verschoben, stellen die Wissenschaftler fest. Folge ist nicht nur eine materielle Benachteiligung – während das mittlere Monatsgehalt von Stammbeschäftigten bei 2702 Euro liegt, erhalten Leiharbeitern lediglich 1419 Euro. Zudem haben Leiharbeiter weniger »Bürgerrechte« im Betrieb. Zwar dürfen Leiharbeiter neuerdings die Betriebsräte im Entleihbetrieb wählen, allerdings erst ab einer Einsatzdauer von mindestens drei Monaten. Nach Berechnungen der Autoren schließt das fast ein Drittel der Betroffenen von vornherein aus. Zudem wurde in der Vergangenheit fast die Hälfte der Leiharbeiter, die theoretisch wahlberechtigt gewesen wären, nicht in die Wählerverzeichnisse aufgenommen. Selbst zur Wahl stellen können sich Leiharbeiter im Entleihbetrieb ohnehin nicht.

Für den Betriebsrat des Einsatzbetriebs bedeuten sowohl der strategische Einsatz von Leiharbeit als auch von Werkverträgen eine Beschneidung seiner Ressourcen. In bezug auf Werkverträge belegen Brinkmann und Nachtwey das mit einer Studie aus der Fleischindustrie, wo mittlerweile ein Großteil der Beschäftigten bei Fremdfirmen angestellt ist. Hier haben die Interessenvertretungen noch weniger Einfluß als bei der Leiharbeit. Zum Teil ist sogar die schlichte Kommunikation von Stammkräften und Werkvertragsbeschäftigten untersagt, um dem Verdacht von Scheinwerkverträgen zu begegnen. Demokratietheoretisch formuliert: »Leiharbeiter sind Betriebsbürger zweiter Klasse. In diesem Sinne sind Werkvertragsbeschäftigte gar keine Betriebsbürger.«

Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management, 1/2014, 128 Seiten, Jahresabo: 80 Euro. http://www.Hampp-Verlag.de“

via 25.02.2014: Mit Werkvertrag, ohne Bürgerrechte (Tageszeitung junge Welt); Quelle des Orginalbeitrages: Ulrich Brinkmann, Oliver Nachtwey: Prekaere Demokratie? Zu den Auswirkungen atypischer Beschaeftigung auf die betriebliche Mitbestimmung, in: Industrielle Beziehungen – Zeitschrift fuer Arbeit, Organisation und Management – The German Journal of Industrial Relations, 2014, vol. 21, issue 1, pages 78-98

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Neue Publikation: Schwerpunktheft der Zeitschrift Industrielle Beziehungen: „Atypische Beschäftigungsverhältnisse“ hrsg. von Berndt Keller und Werner Nienhüser

Atypische  Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeitarbeit,  geringfügige  Beschäftigung/Mini-  und  Midijobs, befristete  Beschäftigung,  Leiharbeit,  Werkverträge  sowie  Solo-Selbstständigkeit) „haben formenspezifisch zwar unterschiedlich, aber in ihrer Summe in den vergangenen (zwei bis drei) Jahrzehnten deutlich zugenommen und machen inzwischen mehr als ein Drittel des Gesamtarbeitsmarktes aus. Normalarbeitsverhältnisse (Mückenberger 1985, 2010), die üblicherweise als analytische, nicht normative Referenzkategorie dienen,  stellen  den  allmählich  abnehmenden  Regel-,  atypische  den  deutlich  zunehmenden Ausnahmefall dar. Vor allem seit den „Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, den sog. Hartz-Reformen, in den frühen 2000er Jahren haben sie auch in der öffentlichen Diskussion sowie im wissenschaftlichen Diskurs erheblich an Bedeutung gewonnen“ (Keller/Nienhüser 2014: 6).

Schwerpunktheft der Zeitschrift Industrielle Beziehungen, Jahrgang 21, Heft 1, 2014: „Atypische Beschäftigungsverhältnisse“, herausgegeben von Berndt Keller, Werner Nienhüser. Mehr Informationen unter: http://www.hampp-verlag.de/hampp_e-journals_IndB.htm

Künstler organisieren sich – „art but fair“

Zunächst veröffentlichten tausende von Künstlern auf der Facebook-Seite „Die traurigsten & unverschämtesten Künstlergagen und Auditionserlebnisse“ Erlebnisse, die ihre schlechten Arbeitsbedingungen ins Licht rückten. Mittlerweile hat sich die Initiative „art but fair“ gegründet.

Interessant sind dazu auch die Arbeiten von Axel Haunschild zum „Beschäftigungssystem Theater„.

Fast die Hälfte aller Neueingestellten hat einen befristeten Arbeitsvertrag

  • Rund 45 Prozent aller neu abgeschlossener Arbeitsverträge waren im Jahr 2011 befristet (2001: 32 Prozent).
  • „60 Prozent mehr befristete Jobs seit 2001“.
  • „Die Chance, dass aus einem befristeten Job ein Dauerarbeitsplatz wird, liegt … bei etwa 50 Prozent.“

Quelle: Artikel in der ZEIT, siehe auch TAZ, Hannoversche Allgemeine Zeitung oder Spiegel. Die Angaben stützen sich auf Auswertungen des IAB-Panels durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. In Auftrag gegeben wurde die Analyse von Bündnis90/Die Grünen. Gesetzlich ist derzeit eine Befristung auf maximal zwei Jahre „ohne Sachgrund“ möglich. Die Grünen fordern, diese Regelung zu streichen. Die SPD und die DGB-Gewerkschaften, z.B. die IG Metall, fordern dies ebenfalls.

„Abhängig Beschäftigte in prekären Erwerbsformen“

Atyp DGBQuelle: Buntenbach, A. (2012): Prekäre Beschäftigung. Herausforderung für die Gewerkschaften. Berlin, hier S. 5. Das PDF-Dokument kann hier heruntergeladen werden.

Neue Publikation über atypische Beschäftigung

Berndt Keller und Hartmut Seifert haben im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Expertise über die sozialen Risiken atypischer Beschäftigung erstellt.

Keller, B.; Seifert, H. (2011): Atypische Beschäftigung und soziale Risiken. Entwicklung, Strukturen, Regulierung. Bonn.

Diese Expertise, an der auch Susanne Schulz und Barbara Zimmer mtgearbeitet haben, ist hier zu erhalten: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/08527.pdf. Eine Kurzfassung können Sie hier herunterladen: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/08526.pdf

Das bedeutet Wirtschaftswachtstum…

322 Tsd. Stellen mehr von 2009 auf 2010 (siehe Tabelle). Das ist ein Anstieg von 1,1%. Schlecht ist: Mehr als die Hälfte des Beschäftigungszuwachses (57%) entfällt auf Leiharbeit. Hier ist ein Anstieg von fast 33% zu verzeichnen. Nimmt man andere atypische Beschäftigungsformen hinzu, dann sind es sogar 75% der neu entstandenen Arbeitsplätze, bei denen die Beschäftigten keinen „normalen“ Arbeitsvertrag haben.

Beschäftigtengruppe Veränderung von 2009 auf 2010 absolut (in Tsd.) Veränderung von 2009 auf 2010 in Prozent
Beschäftigte insgesamt 322 1,1
Normalerwerbstätige 79 0,3
Befristet Beschäftigte 121 4,6
Teilzeitbeschäftigte 28 0,6
Geringfügig Beschäftigte -57 -2,2
Leiharbeitnehmer/-innen 182 32,5

(Quelle: Statistisches Bundesamt 2011 und eigene Berechnungen, siehe hier die Pressemiteilung mit der entsprechenden Tabelle, aus der die o.a. Zahlen stammen.

Siehe auch: Stellenzuwachs bei Leiharbeitern (bei Handelsblatt.com am 19.07.2011 veröffentlicht

Flex Work Research Centre dokumentiert Untersuchungen über atypische (flexible) Beschäftigung

Hier die neuesten Untersuchungen, über die man sich auf der Webseite und per Newsletter-Zusendung informieren kann.

„You can take a look at the following 10 research reports that are new on our Flex Work Research Centre: www.flexworkresearch.org:

  1. A Cross-Sector Comparison of Using Nonstandard Workers; Explaining Use and Impacts on the Employment Relationship, Chung-An Chen, Jeffrey L. Brudney
  2. Socio-economic Risks of Atypical Employment Relationships: Evidence from the German Labour Market, Johannes Giesecke
  3. Marktanalyse 2007, Regioplan
  4. Buiten de bijstand; Onderzoek naar mensen die afzien van een WWB-uitkering of deze niet krijgen toegekend, Inspectie Werk en Inkomen
  5. Inkomen, verdeling en armoede: over groei, stabiliteit en de kloof tussen werkenden en uitkeringstrekkers, Karel Van den Bosch, Pieter Vandenbroucke, Bea Cantillon, Jozef Pacolet
  6. Job Insecurity and Employability in Fixed-Term Contractors, Agency Workers, and Permanent Workers: Associations With Job Satisfaction and Affective Organizational Commitment, Nele De Cuyper, Guy Notelaers, Hans De Witte
  7. One Store, Two Employment Systems: Core, Periphery and Flexibility in China’s Retail Sector, Jos Gamble, Qihai Huang
  8. European labour markets and the cultural-economic geography of flexwork, Roos Pijpers
  9. Freedom or fallout in local government? How work-life culture impacts employees using flexible work practices, Paula McDonald; Barbara Pini; Lisa Bradley
  10. Modernisering arbeidstijden en verlofregelingen, CPB